Erinnerungen an meine Schwester Katharina - 
 
.......................................................von Beate Balke
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Wenn ich mich an unsere gemeinsame Kinderzeit erinnere, sehe ich meine Schwester als sehr feurig und lebendig, gleichzeitig hoch sensibel und empfindsam und sehr begeisterungsfähig. Häufig brachte sie kranke Vögel vom Schulweg mit nach Hause, die sie dann vesuchte wieder hochzupäppeln, mein Vater half ihr oft dabei.  Am liebsten hielt sie sich in der freien Natur auf.  Schon früh hatte sie im Familiengarten ein eigenes Gärtchen, wo sie Pflanzen zog.  Ihre Persöhnlichkeit war schon in der Kinderzeit voll da. Im Haus und Garten gab es über die Jahre Vögel, Schlangen, Meerschweinchen, Mäuse und vieles mehr.  Eine Amsel mit gebrochenem Flügel lebte jahrelang in Katharinas Zimmer.  Für einige Monate war ein Teil ihres Zimmers mit Stroh ausgestreut und gab zwei Blesshühnern ein Zuhause. Über mehrere Jahre lebte auch ein Rabe Namens Arco dort, ein Junge hatte ihn aus dem Nest geholt und ihm die Flügel gestutzt.  Er lief im Zimmer frei herum, war ungeheuer klug und temperamentvoll und zerfetzte Zeitungen und Bücher.  Im Zimmer stand auch ein Vitrinenschrank mit einer Steinsammlung, die Katharina anlegte.  Sie sammelte auch Tierknochen und Federn.  Im Herbst im Wald sammelte sie mit Begeisterung Pilze, wir aßen sie dann.
Künstlerisch war sie sehr talentiert.  Am liebsten zeichnete sie Pferde, wieder und wieder.  Dies war aber auch ihr langgehegter Wunsch, einmal ein eigenes Pferd oder Pony zu besitzen.  Nach einigen Jahren hatte sie es geschafft, es wurde ein trächtiges Pony gekauft, bald waren es dann zwei Ponys.  Ein gemeinsames Projekt mit den Nachbarskindern, sie unterhielten die Ponys vollkommen selbständig, auch finanziell.
Als wir Jugendliche waren,brach in der Familie eine neue Ära an, es waren die 70er Jahre.  Als Familienfreunde kamen Musiker, Theaterleute, Kommunarden.  Es wurde gefeiert, demonstriert und auch viel gesungen und musiziert.  Wir machten auch gemeinsame Kunstausstellungen.
Als Katharina 16 Jahre alt war ging sie in die USA, nach Vermont.  Sie hatte sich verliebt, und war nun  Teil der Bread&Puppet-Theatergruppe.  In dieser Zeit ihres Lebens hat sie auch viel gesungen.  Wenn sie  nach Deutschland kam sangen wir gemeinsam, nicht nur aus 'Sacred Harpl, sondern auch wunderschöne  Lieder aus Jugoslavien.  'Sto mi e milo' und 'Niska banja'.  Sie sang den Alt, ich Sopran, Lieder von  Seelentiefe und großer Schönheit.
Nach einigen Jahren kam sie zurück, sie lernte dann Alfons ihren späteren Mann kennen.  Ben wurde  geboren.  Ich machte in der Zeit Abitur, und half nach den Prüfungen auf dem Bauernhof aus, Katharina  war hochschwanger.
Als die Pacht ablief, suchte die junge Familie zunächst in Europa nach einem neuen Hof.  Katharina sehnte sich gleichzeitig nach dem wunderschönen Vermont zurück.  Sie entschlossen sich dann nach Canada  auszuwandern.
Ende 1993, Anfang 1994 war Katharina das erste mal mit Krebs erkrankt.  Unsere Tante Sigrid starb im  Sommer 1994, Katharina schaffte es.  Die Krankheit öffnete ganz andere Seiten in Katharinas Wesen.  Immer schon sehr sensitiv entfaltete sich jetzt die geistige und spirituelle Dimension in ihr.  Als  Schwestern kamen wir uns darüber erstmalig näher.  Als Kind hatte ich Katharina eher distanziert  erlebt, dies war nun vorbei.  In diesen Jahren hatte ich einen Traum: Katharina und ich flogen in  Deutschland, in der Kölner Gegend, um einen Platz zu finden, um zu inkarnieren. Über der Kölner  Autobahnbrücke, in der Nähe unseres Elternhauses , entschieden wir uns dann runterzukommen.  Ich weiß   nicht ob ich diesen Traum je mit Katharina geteilt habe.  Ein anderes Mal träumte ich unsere Mutter und  die Schwestern alle als tibetische Lamas.  Mama hatte einmal gesagt, wir oder sie habe/n schon in Tibet  gelebt.  Katharina war der Lama mit dem Ginkoblatt, ich war der Lama mit Humor.  Als mein Vater und ich die Todesanzeige gestalteten und er die Idee mit den Ginko-blättern hatte, fiel mir natürlich gleich der Traum ein.  Als Katharina das letzte Mal in Deutschland war, bat sie mich sie öfters einmal anzurufen.  Zum Briefeschreiben hatte sie wenig Zeit.  Die letzten zwei Jahre haben wir viel miteinander telefoniert, oft mehrere Stunden, die inzwischen günstigen Telefongebühren machten dies möglich.  Wir hätten früher damit anfangen sollen, aber wir hatten es begriffen.
Als ich 1998 den Impuls hatte sie, Alfons und Ben in Canada zu besuchen, hatte ich das Gefühl jetzt oder nie.  Ich hatte gelernt meine Impulse ernst zu nehmen und ihnen zu folgen, und daß man nicht alles aufschieben kann.
Ich bin sehr dankbar für die schöne Zeit, die Kataharina, Alfons, Ben, Christoph und ich in Canada erleben durften und auch für die freundlichen und herzlichen Begegnungen mit dem Freundeskreis.  Wir haben viel gemeinsam gesungen, und Katharina und mir war es klar, daß sie sich zu wenig Freude und Spaß in ihrem Leben gönnte.  In den letzten Tagen machten wir eine Sweat-Lodge, -für Christoph und mich die erste.  Mitten in der Nacht, nach der Lodge fingen Katharina und ich an die jugoslawischen Lieder zweistimmig zu singen.  Ich hatte mich danach vorher gesehnt und mich gefragt, ob wir es noch können.  Wir waren genauso sicher, wie 20 Jahre vorher, als wir das gemeinsam einstudierten.  Das war der Moment, der mich auf der ganzen Reise am tiefsten berührt hat, und ich fragte mich, ob wir dies nochmal gemeinsam erleben würden.  Am nächsten Tag, unser Abreisetag gingen wir fünf im Wald spazieren, und ich sehe die Sterne sich im Waldboden spiegeln.
Ende Januar, Anfang Februar 1999 sagte mir Katharina bei einem Telefongespräch , daß sie wieder krank sei.  Ich hatte das Gefühl, das es diesmal nicht gut ausgehen würde und befürchtete für den  Sommer die Kathastrophe.  Mein Sufi-Lehrer, dem ich mich Ostern anvertraute, sagte u.a. 'Der  Tod ist ein Lehrer' und 'Der Tod bringt unerwartete Geschenke', ich bin froh, daß er mir keinen Anlaß zu Illusionen gab.  Den Inhalt des Gesagten begriff ich erst sehr viel später.  Im Frühsommer stolperte ich zwei Tage hintereinander auf dem Weg zur Arbeit jeweils über einen toten Maulwurf.  Ich fragte mich nur warum gleich zwei.  Als unser Großvater dann 13 Tage nach Katharina ebenfalls in die andere Welt ging, war es klar.
Es war für uns alle ein sehr hartes Jahr, am meisten für Ben und Alfons und die engen Freunde vor Ort, die Katharina so engagiert die letzten Wochen und Monate begleiteten, wie für unsere Eltern und uns Geschwister.  Als ich im Sommer mit Katharina telefonierte, sagte sie mir'es wäre nun alles (auf der psychischen Ebene) geklärt' - ich lasse das so stehen.
Am Tag der Sonnenfinsternis am 11.August, hatte ich das Gefühl aus meiner Nachtmeerfahrt, der Depression, die mich seit Anfang des Jahres erfaßt hatte, wieder aufzutauchen.  Ich fragte um einen spirituellen Namen als Symbol für das Neue, was ich spürte, gerade in mir geboren wurde.  Atum o'Kane gab mir den Namen Aostra -Auferstehung, Ostern.  Ich ,dachte, der Name würde auch für Katharina jetzt stimmen.  Was auf der einen Seite wie ein Fiasko aussieht, ist auf der anderen vielleicht ein Triumph.  Wir sollten vorsichtig sein mit unserer Bewertung.
Ich bin dankbar für den sanften Tod, der Katharina geschenkt wurde, wie für den wunderschönen letzten Tag, der ein Symbol ist.
Als unser Großvater kurz später sich ebenfalls verabschiedete, dachte ich, er will um sich nicht soviel Aufhebens machen, und gleichzeitig konnten wir uns so als Verwandete, gleichzeitig von zwei geliebten Menschen verabschieden.  Das Leben meiner Schwester, nicht halb so lang wie das meines Großvaters, war sicher nicht weniger erfüllt und weniger gereift.  In beiden Fällen war etwas rund geworden, bereit für einen neuen Zyklus.  Der wunderschöne und farbenprächtige Herbst hier im Nordschwarzwald schien mir das zu bestätigen, und war ein großer Trost für mich.  Herbst, die Ernte einholen.  Und Früchte sind gleichzeitig immmer die Samen für etwas Neues.
Materie stirbt - die Seele ist unsterblich.
                                                                                         Aostra - Beatrice Balke